Das heutige gesellschaftliche Bewusstsein in Bezug auf klimagerechtes Bauen und wohngesunden Lebensraum muss in eine neue politische Zielsetzung zur Umsetzung und Förderung einer längst überfälligen Bauwende münden.
Der Ist-Zustand:
Unsere Gesellschaft wird mittelfristig auf den bewährten Baubeton und andere zementgebundene Baustoffe verzichten müssen, um sowohl klimafreundlicher wie auch sozialer bauen zu können!
Wir brauchen die Freiheit und Rahmenbedingungen für kreative Lösungen.
Der Wille zur Initiierung der nötigen Schritte für eine umfassenden Wende in der Baupolitik, setzt die allgemeine Erkenntnis voraus, dass derzeit von einem negativen und verbesserungswürdigen baulichen Ausführungsstandard insbesondere im Wohnungsbau, auszugehen ist.
Eine ehrliche Analyse des derzeitigen Wohnungsbaustandards, der sichtbaren Baukultur, ist Voraussetzung, um mittels einer wirkungsvollen Ausjustierung zielführende und positiv skalierbare Veränderungen einzuleiten.
Im Wohnungsbau regelt vermeintlich die wirtschaftliche Effizienz die baulichen Ausführungsqualitäten.
Als Folge liegt eine profitmaximierte Bauweise dabei immer im unteren Level der gesetzlichen Vorgaben.
Nutzer-Bedürfnisse können bisher lediglich auf der Ebene des konstruktiven Innenausbaues verhandelt und eingebracht werden!
In Zeiten des Klimawandels und der Energieverknappung ist ein gesellschaftlicher Wandel im Sinne einer Bewusstseinsänderung beim Verbraucher schneller eingetreten als die darauf nötige bauliche Antwort!
Analyse:
Die Bauwende wird uns alle betreffen. Ob als Nutzer, Bewohner oder Eigentümer von Wohngebäuden, jede Wohneinheit ist betroffen, insbesondere jene im BESTAND! Aber was treibt die gesellschaftliche Bewusstseinsänderung?
Wichtige Treiber sind der Klimawandel mit:
- Energieverknappung und Energieverteuerung
- extremen Übertemperaturen bei geringerer oder fehlender nächtlicher Abkühlung
Die Büronutzung mit:
- Arbeit im Homeoffice
- Der Wohnung als Quarantänestation während der Pandemie
- die winterliche Heiztemperaturabsenkung (Gasmangel im letzten Winter)
Die Begrifflichkeiten rund um unsere Wohnstätten und die erwünschte erweiterte Wirkung des Wohnraumes sind neu zu definieren! Wohnungen werden zu Hitze- und Schutzräumen, pandemischen Isolierstationen, Arbeitsstätten und Pflegeeinrichtungen!
Leisten sie das bereits?
Wie schaffen wir es, einen wohngesunden Wohnraum und die notwendigen energieeffizienten Maßnahmen wirtschaftlich skalierbar in eine Bauwende zu führen?
Der Klimawandel, die pandemische Belastung des Wohnraumes und die heimische Arbeitswelt stehen baubiologisch in einem engen und komplexen Zusammenhang zum Raumklima.
Der Ist-Zustand:
Der Wohnungsneubau im Istzustand ist kostenoptimiert gestaltet. Großflächige, bodentiefe Verglasungen, dickenoptimierte und dampfdichte Außenwände sowie gesonderte dünne Innentrennwände generieren vorrangig mehr Wohnfläche im umbauten Raum. Eine thermisch aktivierbare Masse und ein Feuchteausgleich fehlen.
Gipsgebundene Oberflächen (Putze, Platten) dominieren im Raum. Die Raumakustik ist teilweise erschreckend!
Die vermeintliche Qualität einer Neubau-Wohnung liegt oft nur in einer überzogenen Wärmedämmung.
Was haben wir in den letzten drei Jahren gelernt:
Wohnräume sind Arbeitsstätten und Schutzräume. Die Qualität des Wohnens wird durch das Raumklima und einen geregelten Feuchtehaushalt bestimmt und definiert! Ein wohngesundes Raumklima senkt die Infektionsgefahr und den Energieverbrauch. Erkenntnisse:
Wichtige Maßnahmen zur Ertüchtigung des (Bestands-) Wohnraumes können heute bereits von innen umgesetzt werden.
Hier liegt auch der Schlüssel zu ersten skalierbaren Lösungen bei Bestands-Immobilien! Einer Bauwende stehen die sehr hohen gesetzlichen Anforderungen an die äußere Wärmedämmung eines Gebäudes entgegen.
Dem gegenüber ist die Ertüchtigung des Wohnraumes von innen eine zielführendere, weil leichter umsetzbare Aufgabe.
Dafür stehen regional verfügbare Baustoffe wie z.B. Lehm zur Verfügung.
Durch Lehmanstrich, Lehmputze oder Lehmbauplatten können biologische Klimaverbesserungen, eine hohe Behaglichkeit und letztlich eine höhere Energieeffizienz erreicht werden. Der Wohnraum sollte dort schnelle und wirksame Maßnahmen erfahren, wo sie auch wirken sollen: im Inneren des Gebäudes!
Sie sollten dem Nutzer also unmittelbar dienen.
Maßnahmen:
Eine erfolgreiche Veränderung kann am schnellsten durch einen leichten und breiten Konsens der Interessengruppen erreicht werden. Normative Maximalforderungen führen oft zu gesellschaftlichen Widerständen und unter Umständen auch zu möglichen sozialen Verwerfungen. (Beispiel: Das Gerangel um das aktuelle Heizungsgesetz)
Demgegenüber gibt es eine Vielzahl an möglichen Eigenleistungen von Vermietern und auch Mietern.
Zudem können viele kleine betriebliche Ausführungen unabhängig von Witterung und Sommertemperaturen im Inneren eines Gebäudes baurechtlich „entschlackt“ erfolgen.
Die Wende einleiten:
Erinnern Sie sich noch an die Skalierung von Ethanol-Kraftstoffen?
E5 (Benzin) oder später die medial präsente E10-Einführung zeigen uns, dass es möglich ist, neue Standards einzuführen, welche zumindest heute allgemein akzeptiert werden. Warum nicht irgendwann mal ein L10 (Lehm) oder ein H10 (Holz)?
Es bedarf vieler Impulse, um ein motivierendes Förderprogramm direkt für den Verbraucher bzw. Nutzer zu kreieren.
Die Förderquellen könnten aus diversen Kostenstellen-Bereichen generiert werden:
- Bauen/ Sanieren
- Katastrophenschutz/ Risikoschutz
- Gesundheitlicher Prophylaxe
- Energieeinsparverordnung (alt)
- Innovationsförderung
- CO2-Einsparungsprogramme
- Forschung an CO2-neutralen Baustoffe
- EEG
Verfasser:
Dipl.-Ing. Wolfgang Priedemann
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